Interview (German)

Interview conducted by Swiss Traditional Shotokan Karate Federation 2013

16.11.2013 Berlin

 

Nach vielen Versuchen hatte ich endlich die Gelegenheit Sensei Michael Bock nach dem jährlich in Berlin stattfindenden Berliner Bär Cup, persönlich zu Interviewen.

 

STSKF: Sensei, danke vielmal für diese Gelegenheit.

 

Michael Bock: Ist mir ein Vergnügen. Legen wir gleich los!

 

STSKF: Würden Sie uns bitte erzählen wie sie zu den Kampfkünsten gekommen sind?

 

Michael Bock: Ich startete mit 14 Jahren Karate. Es war also so um 1978. Dazu traf ich mich mit einigen Freunden in einem alten Luftschutzkeller in Berlin Köpenick und wir begannen mit komischen Übungen. (Lacht)

Wir hatten keine Anleitung, aber wir wussten, dass es mehr gibt als Judo und Boxen.

 

STSKF: So führte wohl eins zum anderen und dann zum Karate. Beim Lehrgang letztes Mal haben Sie gesagt dass sie in der DDR damals im geheimen Trainieren mussten. Wie war das denn so?

 

Michael Bock:

 

In der DDR war es illegal Karate zu trainieren, es war einzig den Sicherheitsorganen der DDR vorbehalten Karate oder auch andere asiatische Kampfkünste zu betreiben. Wir begannen also ganz geheim, hinter verschlossenen Sporthallen, oder wie ich schon sagte Kellern, Höfen, Wohnungen Karate zu erlernen. Anfangs autodidaktisch, später suchten wir aber auch Vereine auf, wo Karate praktiziert wurde. Ich nehme mal an, dass sie unter Kontrolle der Staatssicherheit waren und somit unter Kontrolle bzw. Aufsicht der Schutz und Sicherheitsorgane der DDR. Als ich später selber bei den Sicherheitsorganen gearbeitet habe, war alles entsprechend unkomplizierter. Der Weg konnte nun nicht mehr aufgehalten werden. Auch war dieses Verbot nicht mehr zu bremsen, man hat es begonnen zu lenken und hat versucht es in Bahnen zu ordnen. Sicherlich, und da können wir wirklich sicher sein, blieb alles unter Kontrolle der Staatssicherheit.

STSKF: Somit war wohl der Weg frei zur Verbreitung.

 

Michael Bock: Genau. So begann sprunghaft die Entwicklung des Karates in der DDR. Natürlich gibt es viele alte Karatemeister, die auch noch heute den Anspruch vertreten, sie seien die "Ersten" gewesen, aber das wird sich wohl nie richtig ermitteln lassen. Sie waren schon zur DDR Zeit verstritten und keiner wird sagen können, wer der wahre große DDR Karate Pionier war. Schon wenn einige diesen Satz lesen, werden sie laut aufbrüllen. Ich kann nur sagen, der Erste - oder Zweite war ich nicht. Dieser Pokal gehört in andere Hände. Aber ihr Verdienst ist es, dass ich jetzt hier stehe wo ich bin. Sie haben mich geprägt und haben mir auch manchmal gezeigt, wie ich nie sein möchte.

 

STSKF: Auch davon kann man viel lernen. Erzählen Sie uns etwas über die “Alten Zeiten“

 

Einzelne Storys gibt es bestimmt genug und wir wurden wahrlich geschunden. Meine ersten Trainingseinheiten bei Herrn Axel Dziersk ( heute 5. Dan ) in der Zeit von 1980-1987 waren sehr hart. Wir sassen manchmal nach dem Training unter der Dusche, weil wir nicht mehr stehen konnten! (Lacht und blickt seufzend zur Decke) Seine Schüler setzen mir richtig bei und zeigten mir, dass Judo für mich nicht das non plus Ultra war, aber das wusste ich bereits. So lief ich Monate lang nur Zenkutsu Dachi durch die Halle, meistens mit einem Mann auf dem Rücken, auch die Mae Geri wurden unendliche male wiederholt. Es war manchmal unerträglich und ich kam oft mit aufgeplatzten Fingergelenkknochen nach Hause. Im Winter kann ich dir sagen, war das nicht lustig. Zum Essen konnte man die Hände gar nicht mehr auf den Tisch halten. Aber auch das hat mich zu dem gebracht was ich heute bin. Dann trainierte ich in der Zeit von 1987-1991 bei Wilfried Achilles, auch das war eine Lebensschule. Er brachte mich dann zu einem kleinen polnischen Mann aus Lodz, Wladimir Kwiesinski. Hier betrieben wir schon den Stil Fudokan - Karate, und somit zu meiner nächste Station, Dr. Ilija Jorga.

 

STSKF: Beeindruckend. Wahrlich ein langer aber sicher spannender erster Abschnitt! Sie haben dann später mit anderen grossen Sensei unserer Zeit wie zum Beispiel Sensei Nishiyama, Okazaki, Wladimir Jorga und vielen anderen trainiert. Wie unterscheidet sich das Training zwischen solchen Karate-grössen?

 

Michael Bock: Auf diesem Wege lernte ich natürlich viele Meister kennen, so lernte ich Sensei Kase (Lehrer von Ilija Jorga) und dann natürlich auch Sensei Hidetaka Nishiyama kennen. Bei Sensei Nishiyama lernte ich sehr viel und begab mich parallel in die Schule der ITKF. Da lernte ich weitere große Meister kennen, wie eben Prof. Dr. Wladimir Jorga (Vizepräsident der ITKF), ich möchte ihn als meinen Mentor bezeichnen. Er hat mich ebenfalls sehr stark geprägt auf meinem Weg. Ich lernte auch Sensei Shirai, Kawasoe, Sensei Sugiyama und viele andere Meister kennen. Aber glaube mir, nicht nur die Japaner verstehen was von Karate. Es gab auch grossartige westliche Sensei.

 

An der Seite von Sensei Nishiyama verblieb ich bis 2007 und bei Ilija Jorga 2009. Dann musste ich meinen Weg erstmal allein fortsetzen und gelangte 2011 zur ISKF - Internationale Shotokan Karate Federation zu Sensei T. Okazaki 10. Dan. Er ist nicht nur ein großer Karatelehrer, er ist auch ein netter, höflicher und bescheidener Lehrer - ein richtiger Sensei eben. Ich bin sehr froh ihn kennengelernt zu haben und das er mich in seine große Riege von Meistern aufgenommen hat.

STSKF: Wenn sie einen bestimmten Sensei nennen müssten, welcher hat sie am meisten beeinflusst?

 

Das lässt sich gar nicht so einfach sagen! Jeder Meister hat seine eigene Bestimmung. Jeder der Meister hat seine Gabe, seine Vorzüge und ich könnte Bände über einige genannte Personen schreiben. Ich würde vorschlagen ich sage nur Stichworte zu Jene:

 

-Sensei Axel Dziersk - DDR Karate Pionier – Harte Schule, Aber leider Heutzutage nicht mehr anwendbar.

 

-Sensei Wilfried Achilles - hat viel für die Entwicklung des Karate in Ostdeutschland getan.

 

-Sensei Kwiesinski - ein Businessmann durch und durch der es immer wieder schaffte Karateka in seinen Bann zu ziehen

 

-Sensei Dr. Ilija Jorga - Mobilität und Kreativität zeichneten ihn aus.

 

-Sensei Dr. Wladimir Jorga - Der Karate Demokrat

 

-Sensei Sugiyama - der Spezialist für KI

 

-Sensei Nishiyama – “Karate Genie“

 

-Sensei Okazaki – “Der Shihan“

    

 

Packt man also alle Sensei zusammen dann würde ich sagen "Superman, Batman und Captain Amerika" zusammen. (Lacht)

STSKF: Sie haben so unglaublich viele Kampfkünste betrieben und haben in jeder ein hohes Level erreicht. Wie ist das überhaupt möglich?

 

Michael Bock: Ich startete im zarten Alter von 4 Jahren mit Judo, also 1968. Judo ist so wunderbar, man kann ziehen, drehen, hebeln, würgen und natürlich werfen. Im Karate kamen schlagen, treten und stoßen hinzu. Das zusammen ergibt ein super Ju-Jitsu, was ich bei Sensei Alexey Kunin 10. Dan JJ in der AJJIF praktiziere. Ich lernte auf meinem Weg Meister Sin Kill Yon 9. Dan Taekwondo kennen. Er zeigte mir, dass es keinen Grund gibt arrogant und unhöflich zu sein. Ich lernte Bescheidenheit von meinem Freund und Sensei Stanislav Holodkov 10. Dan Combat - Karate, mehrfacher Weltmeister in Vollkontakt Karate und ich konnte immer zu meinen Freunden wie Sensei Peter Kalinin 8. Dan Karate, Shihan Leone Bara 8. Dan Okinawa Karate mit Fragen erscheinen. Natürlich prägte mich auch mein Elternhaus, so mein Vater der mich zum Judo schaffte und mich teilweise zwang nicht aufzugeben und immer am Ball zu sein. Das ist also mein Geheimnis: Niemals Aufzugeben. Das versuche ich natürlich auch auf meine Kinder zu übertragen.

 

STSKF: Welche Kampfkunstrichtung ist Ihr persönlicher Favorit?

 

Michael Bock: Ein Favorit gibt es nicht. So wie es auch keinen schwachen Schüler gibt, es gibt nur schwache Lehrer. Ein super Boxer wird im Wettstreit ein schwachen Karateka besiegen, dieser wird sicher ein schwachen Judoka treten, aber dieser nimmt einen Taekwondoka mal richtig in die Würge, bevor der Ringer ihn richtig in den Schwitzkasten nimmt. Ich will damit sagen, es wird immer einen besseren und größeren Kämpfer geben und es werden immer wieder Bessere erscheinen und geboren werden. Jede Kampfkunst hat seine wichtigen Elemente, Schönheiten und Finessen. Alles ist gut, wenn man den richtigen Lehrer findet und selbst mit voller Energie seinen vorgegebenen Pfad beschreitet.

 

STSKF: Sie haben viele Turniere besucht und waren lange im Wettkampf aktiv beteiligt. Was ist ihr Geheimnis?

 

 

Michael Bock: Üben, lernen, lehren, üben, lernen und wieder lehren. Wer stehen bleibt, lebt sein Karate nicht mehr und ist dann im realen Kampf tot.

STSKF: Karate und auch die anderen Kampfkünste haben sich seit Sie angefangen haben sehr verändert. Was denken Sie über die Zukunft der Kampfkünste? Was hat sich ihrer Meinung nach zum Guten und was zum Schlechten entwickelt?

 

Karate wie auch andere Künste unterliegen einem ständigen Wandel, dass bringt die Zeit mit sich und ist somit unaufhaltsam. Die Meister, die auch Menschen sind, unterstehen dem Wandel der Zeit, so wird sich auch die Kunst des Karate stetig weiterentwickeln. Sicherlich zum Guten hat sich die Verbreitung von Wissen im Internet entwickelt. Heutzutage ist es einfach zu sehen was die restliche Karatewelt macht. Jedoch gefährdet es meiner Meinung nach die spezielle Beziehung die ein Sensei zu seinem Schüler hat. Ich habe ein wenig Angst dass nur noch Kata vom PC und nicht vom Meister gelernt werden oder aber das Kyu - oder Dandiplome online vergeben werden. Das würde dem Ruf unserer Kampfkunst schaden die in erster Linie von Hand zu Hand weiter gegeben werden sollte.  

 

STSKF: Nun zur letzten Frage: Sie sind einer der höchst graduierten Meister Europas. Was ist ihr nächstes Ziel?

 

Michael Bock: Ich stehe erst am Anfang und habe mir noch viel vorgenommen. Ich interessiere mich momentan stark für die Vitalpunkte! Das ist eine Schule für sich. Weiterhin möchte ich noch viele Kata Formen, alte Formen vom Okinawa-te erlernen und den Vergleich zu den neuen anstellen. Dann noch dies und das. Ich glaube mein Lebensalter wird nicht ausreichen und ich bin nun auch schlau genug nicht nach den Sternen zu greifen und einem Gürtel nachzueilen. Gürtelprüfungen sind nur Tests und man wird sein gesamtes Leben getestet. Ich werde mich, wenn die Zeit dran ist, auch wieder testen lassen, aber in den Rangregionen in denen ich mich bewege sind es schon keine Zeitabschnitte, sondern Lebensabschnitte. Somit kann ich mich nicht festlegen.

STSKF: Sensei, Danke vielmals für dieses Interview. Ich hoffe, dass wir Sie bald wieder bei einem Lehrgang in der Schweiz begrüssen dürfen.

 

Michael Bock: Das Vergnügen lag ganz auf meiner Seite und wir sehen uns dann in der Schweiz!